WUT WUT WUT

 

21:00 Uhr

Er kitzelt seinen Jungen am Bauch. Jonas jauchzt erfreut auf und strahlt ihn an. Er schiebt eine frische Windel unter den Po des Kleinen, klebt die Versclüsse zu und zieht ihm seinen Strampler an. Er beobachtet, wie Ramona aus dem Schlafzimmer schlendert und ein Päckchen Taschentücher in ihre Handasche steckt. Riecht den Duft ihres Lieblingsparfums.

„Willst du zur Disko?“, fragt er seine Frau und setzt Jonas auf den Arm.

„Ja.“ Ramona verzieht ihre Lippen zu einem provokanten Lächeln.

In ihm macht sich Verzweiflung breit. „Bitte, nicht schon wieder!" fleht er sie an.  "Jeden Abend bist du weg. Wie stellst du dir eigentlich vor, wie es weitergehen soll? Wenn ich noch mal zu Hause bleiben muss, weil sie krank sind, werde ich entlassen. Warum kannst du mir nicht helfen? Es sind auch deine Kinder! Spiel mit ihnen. Bitte bleib hier. “

„Du nervst!" Unablässig wippt ihr rechter Fuß auf und ab. "Lass mich in Ruhe, verdammt noch mal." faucht sie ihn an. "Sieh zu, wie du klar kommst! Du wolltest sie unbedingt. Ich muss raus und habe keine Lust, mich jeden Abend zu langweilen.“

Hilflos sieht er zu, wie Ramona die hochhackigen Tanzschuhe über ihre Füße streift. Sie lässt den Schlüsselbund in ihre Tasche klimpern. Stöckelt durch den Flur, öffnet die Tür und ist verschwunden.

22:00 Uhr

Wum. Wum. Wum. Bässe hämmern in ihrem Blut. Lichtreflexe grellen über zuckende Körper. Blau, rot, grün, gelb. Sie lehnt sich an die Bar, legt ihren Kopf in den Nacken, schließt die Augen und summt mit. The Club isn`t the best place to find a lover. So the bar is where I go.... Ihre Füße wippen im Takt. Jemand berührt sie an der Schulter. „Willste`n Drink?“ Der Typ, der sie angesprochen hat, sieht gut aus. Lederklamotten. Blonder Iro. Piercing in Oberlippe und rechter Augenbraue. Drei Ohrringe glitzern am linken Ohr. Sie nickt und zeigt ihm auf der Karte, was sie trinken will. Sie beobachtet den Barmann, wie er die Cocktails mixt und die Mischung in die Gläser füllt. Als er die Gläser auf den Tresen stellt, schiebt der Typ eines zu ihr rüber. Sie hebt lächelnd das Glas. Nippt und lässt den Geschmack nach Amarula, Rum, Ananas und Kokos auf der Zunge zergehen.

Er zieht Tabakbrief, Papier und Feuerzeug zu sich heran. Dreht sich eine Zigarette, zündet sie an und zieht den Rauch in die Lungen. Gott sei dank sind die Zwillinge endlich eingeschlafen. Es tut gut zu sitzen und die schmerzenden Füße unter den Küchentisch zu strecken. Er pustet den Rauch mit Nachdruck ins Halbdunkel. Das Neonlicht hat er ausgeschaltet. Nur der Schein der Laterne vor dem Haus funzelt in den Raum. Seine Wut findet ein Ventil, sie schlängelt mit rauchigen Schlieren zu den Paneelen hinauf. Er sieht auf die Uhr. Fragt sich, wo Ramona bleibt. Sieht ihr Bild vor sich, als sie gegangen ist, chic, blondgelockte Wallemähne, rote Schuhe, passend zum handbreiten Minirock, Netzstrümpfe, die Muster auf ihre Beine zeichnen. Dazu die schwarze Spitzenbluse, die er an ihr so sexy findet. Er fragt sich, was schief gelaufen ist. Ob wirklich nur er sich gefreut hatte, als sie entdeckten, dass sie schwanger war? Hatte er sie zu sehr gedrängt, die Schwangerschaft nicht zu beenden? In letzter Zeit gab es nur noch Streit, Vorwürfe, Zorn. Scheiße.

24:00 Uhr

Die Tanzfläche ist gerammelt voll. Sie dreht sich vor dem Typen, der ihr vorhin den Cocktail spendiert hat. Inzwischen sind es ein paar mehr geworden. Windet sich, vollkommen der Mucke hingegeben. ...oh, die immer lacht, die immer lacht, die immer lacht... Komm her meine Süße und reich mir deine Hand und du wirst sehen, wie es ist zu lachen, ohne zu betrügen... Streckt die Arme nach oben und kreist mit den Hüften. „Hast du Lust?“ brüllt der lederbekleidete blonde Typ. Macht ein eindeutiges Zeichen, indem er den Daumen zwischen Zeige- und Ringfinger seiner Faust durchsteckt. Will sie? Sie streckt ihm ihre Hand entgegen und lässt sich von ihm von der Tanzfläche und durch einen düsteren Gang führen. Der Typ öffnet eine Tür und zieht sie hindurch. Heiß fiebert Verlangen durch ihre Adern. Hemmungslos fallen sie übereinander her. Knutschen sich. Ihre Zungen umschlingen einander. Ihre Finger öffnen Knöpfe, streicheln über warme Haut.  Sie krallt ihre Nägel in seinen Rücken, während sein Mund sich an ihrem Hals festsaugt. Sie schlingt die Arme um seinen Nacken und lehnt sich an die Wand neben der Tür. Er schiebt ihren Rock hoch, danach Strumpfhose und Tanga nach unten. Dann öffnet sie den Reißverschluss seiner Lederhose ...

Er ist hundemüde, aber zu aufgedreht, um schlafen zu können. Raucht eine Zigarette nach der anderen. Wartet. Ihm graut vor dem Morgen, wie ihm vor jedem neuen Tag graut. Um vier muss er raus. Duschen. Zähne putzten. Die Kinder fertig machen. Jasmin und Jonas sind ein dreiviertel Jahr alt. Sie müssen gewindelt und gefüttert werden. Dann zur Krippe und anschließend auf Arbeit. Nach Feierabend, wenn er sie abgeholt hat, setzt er die Zwillinge ins Laufgitter und kümmert sich um den Haushalt. Er würde gern öfter mit ihnen spielen. Es sind so fröhliche Kinder. Doch die Zeit vergeht viel zu schnell. Bevor er sie schlafen legt, kocht er ihnen Brei und badet sie. Vor zehn kommt er nicht zur Ruhe, weil sie sich gegenseitig wachhalten. Draußen rumpelt ein Auto übers Pflaster und irgendjemand im Haus betätigt die Klospülung. Die Uhr ticktackt. Der Zeiger rückt weiter. Ramona ist immer noch nicht zu Hause. Er legt die Arme auf den Tisch und lässt den Kopf darauf sinken. Nur einen Moment entspannen, bevor er schlafen geht.

02:00 Uhr

Leise öffnet sie die Tür und torkelt über den Läufer Richtung Küche. Stolpert und knickt mit dem Knöchel um. Sie schreit leise auf. Hält sich am Garderobenschränkchen fest und kickt erst den linken und danach den rechten Schuh in die Ecke. Vorsichtig drückt sie die Klinke herunter. Die Küchentür öffnet sich mit leisem Knarren. Mist! Frank schläft am Tisch, den Kopf auf die Unterarme gelegt.

Sein Kopf schnellt hoch. Was ist los? Benommen blinzelt er die Schwere des Schlafes von den Lidern. Erst jetzt sieht er sie auf sich zukommen, ihr Rock zerknittert, Wimperntusche verlaufen und Lippenstift verschmiert, die Bluse zerrissen. Ihren Hals zieren Knutschflecke, wie eine Perlenkette. Wie Lava glühend aus einem Vulkan schießt, kocht heiße Wut in ihm hoch. Er brüllt sie an. Rot und gleißend wallt Jähzorn durch seine Adern. Hass führt seinen Arm, als er zuschlägt. Sie kracht seitlich auf die Tischplatte, ihr Körper wird schlaff und stürzt auf die Fließen. Liegt reglos. Benommen steht er und registriert, dass er nicht nur das Krachen ihres Aufpralls vernommen hat. Sie rührt sich nicht. Wird sich nie mehr rühren. Er taumelt rückwärts und lässt sich auf den Hocker an der Wand plumpsen. Bleibt sitzen, die Arme auf die Knie gestützt, während die Zeit in der endlosen Nacht vertröpfelt. Als es zu dämmern beginnt, nimmt er sein Handy vom Tisch und wählt den Notruf.