FRÖHLICHE WEIHNACHT ÜBERALL...

 

„Was wünschst du dir zu Weihnachten?“

Kathi blieb im Lichtkegel der Laterne an der Ecke stehen, an der sie sich mit Lydia morgens traf, bevor sie zur Schule gingen und an der sie danach oft noch standen und redeten. Kathi stellte ihren schweren Ranzen neben sich und antwortete: "Von Mutti habe ich mir das Buch vom kunterbunten Vögelchen gewünscht und von Oma eine Jeans. Wenn sie in einer Woche aus München kommt bringt sie bestimmt NimmZwei-Bonbons, Milkaschokolade und Apfelsinen mit.“

„Mann, hast du es gut“, schwärmte Lydia. „Ich wünschte, wir hätten Westverwandschaft. Eine Jeans wäre klasse. Apfelsinen und Schoko auch. Aber Papa meint, dass die Sachen von hier genauso gut sind.“ Sie lächelte schief. „Ich habe mir ein Fahrrad gewünscht, weiß aber nicht, ob ich es kriegen kann. Mutsch meint, seit Andreas und Dagmar Sachen für Erwachsene brauchen, ist das Geld bei uns knapper als früher.“

Kathi wusste nicht , was sie darauf erwidern sollte und sah auf ihre Stiefelspitzen. Was blinkte da neben ihrem Schuh? Sie bückte sich, um zu sehen, was es war. „He, sieh mal, ich habe einen Pfennig gefunden.", flüsterte sie. "Jetzt habe ich einen Wunsch frei.“Kathi schloss die Faust um die funkelnde Münze und blickte zu den Sternen.

Lydia verdrehte die Augen. „So ein Quatsch, das funktioniert doch nie!“, spottete sie und wollte wissen, was ihre Freundin sich gewünscht hatte.

„Das will ich nicht verraten. Der Wunsch geht nicht in Erfüllung, wenn man darüber redet.“, erklärte Kathi.

Doch Lydia blieb hartnäckig und bohrte weiter, bis ihre Freundin aufgab. „Aber du musst es geheim halten!“, verlangte Kathi genervt. „Ich habe mir von Gott Frieden für alle Kinder auf der Welt gewünscht.“

„Du bist doof“ prustete Lydia los. „Und damit du`s weißt, für den Frieden ist Onkel Erich zuständig, nicht Gott und auch nicht irgendein blöder Pfennig. Oh Mann, wie kann man nur...“,Abrupt brach Lydia ihre Tirade mitten im Satz ab und sah auf die Uhr. "Ich muss los und Mutsch bei ihrer Wäsche helfen.“ Den Blick stur nach vorn gerichtet, trabte Lydia los und reagierte auch nicht, als Kathi ihr leise „Tschüs“ nachrief.

Kathi schlurfte nach Hause. Sie wünschte nicht zum ersten Mal, dass sie den Mund gehalten hätte. Lydia lästerte jedes Mal, wenn sie von Gott erzählte. Im Flur stellte sie den Ranzen in die Ecke, hängte ihren Anorak an die Garderobe und schlüpfte in ihre Hausschuhe. Als sie die Küchentür öffnete schlug ihr duftende Wärme entgegen. Auf jeder freien Fläche standen Bleche, auf denen Plätzchen abkühlten und Mutti stand gebeugt am Herd und holte mit zwei Riesenhandschuhen noch mehr Kekse aus der Röhre. „Erzähl mal, wie war eure Weihnachtsfeier?“, fragte sie.

Kathi löste den Knoten ihres blauen Halstuchs, stibitzte zwei mit Zuckerguss garnierte Zimtsterne von einem Teller und meinte wenig begeistert „Ging so. Erst haben wir ausgewertet, wer am meisten Gläser und Zeitungen für die Spendenaktion gesammelt hat und Kerstin hat ihr Fett weggekriegt, weil ihre Zensuren schlechter geworden sind. Zu Stollen und Plätzchen gab es Malzkaffee.“ Angewidert verzog Kathi das Gesicht zu einer Grimasse und fragte, ob sie ein Glas Limo trinken dürfe. Mutti nickte und forderte ihre Tochter auf, in ihr Zimmer zu gehen und Hausaufgaben zu machen, damit sie fertig war, wenn sie später Weihnachtslieder singen wollten.

„Also hierher hast du dich verkrochen.“ Kathi war es peinlich, dass die Klassensprecherin sie in ihrem Versteckt aufgespürt hatte. "Und? Du nimmst es ihr übel, oder?“, fragte Isolde

„Na klar.“ Kathi schniefte. „Ich habe Lydia gestern ein Geheimnis anvertraut und sie gebeten es niemandem zu verraten. Und was macht die dumme Kuh? Tratscht es in der ganzen Klasse breit und alle lachen über mich.“

„Das kann ich verstehen, aber du weißt doch, wie Lydia ist. Die plautzt alles raus, wie es ihr in den Sinn kommt.“

„Das ist keine Entschuldigung. Wir sind Freundinnen und sie haut mich in die Pfanne.", fauchte Kathi. "Du hast überhaupt keine Ahnung, wie schlimm es ist, wenn alle spotten.“ Sie konnte die Tränen nicht mehr aufhalten.

"Ach, jetzt hör auf zu heulen und komm zurück zu den anderen. “ Isolde klang ungeduldig.

„Dann Hau doch ab!“, schrie Kathi. „Ich habe keinen Bock auf dumme Sprüche. Nie wieder werde ich ein Wort mit Lydia reden.“ Mit einer zornigen Bewegung wischte sie sich die Tränen von der Wange. 

„Weißt du, was ich nicht verstehe?",  fragte Isolde.  "Ihr Christen seid doch so verrückt auf Versöhnung. Wieso kannst du Lydia dann nicht einfach verzeihen?“ Als Kathi zögernd den Kopf schüttelte, stiefelte Isolde wortlos davon.

Auch an diesem Nachmittag roch es lecker in der Küche. Mutti hatte Butterplätzchenteig vorbereitet und Ausstechformen bereit gelegt. Doch Kathi machte sich nur lustlos daran Teig auszurollen. Als Mutti wissen wollte, wie es in der Schule war, gab Kathi mürrische Antworten. Später, als die Kerzen brannten und die Familie Weihnachtslieder sang, brachte Kathi keinen Ton heraus. Sie starrte auf die Rehe in der Pyramide, die im Kreis herumrasten, und schaute zu den Flügelschatten an der Zimmerdecke, die sich dort oben viel schneller drehten, als die Flügel der Pyramide auf dem Tisch. Als Mutti ihr in einer beruhigenden Geste die Hand auf die Schulter legte, sprang Kathi auf, rannte in ihr Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.

Seit vierzehn Tagen hielt die Funkstille zwischen den beiden Mädchen an. Kathi und Lydia gingen getrennte Wege zur Schule. Beide redeten nur noch mit ihren Mitschülern und ignorierten die jeweils andere. 

Kathis Großmutter gelang es schließlich mit viel Geduld ihre Enkelin zum Reden zu bringen. Oma hatte ihre Art zuzuhören. Sie fragte ihre Enkelin, was sie bedrückte.

Kathi, wollte nicht reden. Doch die unbeantwortete Frage verfolgte sie, so dass sie ihrer Oma anvertraute, dass Lydia ihr leid tat, weil sie sich gegen den Gedanken wehrte, dass Gott den Menschen bei ihren Problemen helfen könnte. Kathi sagte, dass sie nicht verstand, warum Lydia ihr Geheimnis verraten musste. Als Kathi sich ihren Zorn auf die Freundin vom Herzen geredet hatte, sagte sie plötzlich: „Ich vermisse sie.“ Und als nächstes bat sie ihre Oma mit ihr zum Intershop zu gehen.

In Lydias Zuhause sah die Mutter ihr Mädchen prüfend an und fragte sie, warum sie in letzter Zeit so zeitig zu Hause war. Lydia umarmte ihre Mutsch. Beichtete ihr, was sie getan hatte und, dass sie Kathi nicht verstand. Wie konnte man sich Dinge von Gott wünschen, für die die Menschen verantwortlich waren? Als sich Lyda ihren Frust vom Herzen geredet hatte, sagte sie plötzlich: „Ich vermisse sie.“ Und als nächstes bat sie ihre Mutsch, ihr zu zeigen, wie man die silbernen Sterne bastelte, die bei ihnen am Weihnachtsbaum hingen.

Der 23. Dezember dämmerte herauf. Kathi wartete vor dem Schultor, durch das die Schüler mit gefrorenen Atemfahnen vor dem Mund das letzte Mal im Jahr die Treppen hinauf strömten. Sie hielt einen kleinen Karton in ihren behandschuhten Händen. Hübsch, mit Weihnachtspapier umwickelt und schleifchenverziert.

Die Freude darauf, ihre Freundin zu überraschen ließ auch Lydias Weg in die Schule zusammenschrumpfen. „Auf wen wartest du?“ sprudelte es atemlos aus ihr heraus. „Auf dich.“ Kathi hielt ihrer Freundin den Karton vor die Nase. Lydia kramte Kathis Geschenk aus ihrer Anoraktasche hervor. „Das ist für dich.“, tönte es fast gleichzeitig aus ihren Mündern. Der Tag schien plötzlich aus vollem Halse zu lachen und beide Mädchen taten es ihm gleich. Nun konnte Weihnachten kommen. Fröhliche Weihnacht. Überall.