PAKT FÜR ARBEIT

 

Dieses Mal hatte ich meine Hausaufgaben gemacht und finde es wichtig, diese Tatsache von Anfang an klarzustellen. Denn, wem immer ich diese Geschichte erzählt habe, ständig habe ich die gleiche Rückmeldung erhalten: es war jedes Mal von Nötigung oder gar von Erpressung die Rede und das kann so nicht im Raum stehen bleiben. Vielleicht hat mir manch einer auch unterstellt, dass ich mir diese hanebüchene Geschichte nur ausgedacht habe. Das zu glauben bleibt diesen Menschen natürlich unbenommen.

Denn auch die Tatsache, dass ich es während meiner dreijährigen Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten nicht geschafft hatte hinter das Geheimnis zu gekommen, wie Kündigungsfristen zu berechnen waren und ich also gar nicht in der Lage gewesen wäre, die Kündigung so zu schreiben, wie sie von meinem Arbeitgeber abgefasst worden war, wäre von niemandem als Beweis anerkannt worden – dumm stellen kann sich schließlich auch der Intelligenteste.

Als ich meine Unterschrift unter die Kündigung setzte, war mir sehr wohl bewusst, was ich tat und war deshalb kein Opfer der Umstände. Sicherlich hat man es als Opfer bequem, weil man sich in aller Ruhe zurück lehnen und den anderen an allen Widerwärtigkeiten, die einem passieren, die Schuld in die Schuhe schieben kann. Ich habe die Opferrolle lange genug gespielt, um beurteilen zu können, dass diese Bequemlichkeit jedoch sehr trügerisch ist und mir den Handlungsspielraum zu sehr einengt, weshalb ich nochmals betonen möchte, dass ich ganz genau wusste, was ich tat, als sich die folgende Begebenheit abspielte. Und, weil ich wusste, was ich tat, konnte ich handeln, wie ich es für notwendig hielt und hatte letztendlich sogar Spaß an der Geschichte, auch wenn sie am Ende ganz anders glücklich ausging, als ich mir das vorgestellt hatte.

Das für mich Arbeit mehr bedeutet, als nur Geld zu verdienen, hat mit dazu beigetragen, dass sich diese Episode zutragen konnte. Für mich hat Arbeit auch etwas mit finanzieller Unabhängigkeit, Erfolg und Selbstvertrauen zu tun. Außerdem ist es heutzutage schon fast Luxus einer Arbeit nachgehen zu dürfen. Ich hatte also durchaus eigene, egoistische Gründe für meine Handlung. Dies ist auch der einzige Grund, warum ich diese Geschichte jetzt aufschreibe, weil ich Ihnen sagen möchte, dass es sich meist lohnt zu handeln - ohne allzu viele Gedanken an die Folgen zu verschwenden -, statt in der Ecke zu sitzen, über schlechte Zeiten zu jammern und nichts zu tun.

Außerdem war mir, als ich meine Ausbildung beendet hatte klar, wie schwer ich es aufgrund meines Alters und mangelnder Erfahrung haben würde Arbeit zu finden. Nichts desto Trotz - ich hatte eine Wahl - da ich aber keine Lust hatte, zu Hause Däumchen zu drehen, habe ich mich eben dafür entschieden meine Unterschrift unter den mir angebotenen Vertrag zu setzen. Vielleicht könnten wir uns einfach darauf einigen, dass alle Beteiligten ihre Gründe hatten, es war ein geschäftliches Angebot, welches ich bekommen und angenommen habe, ohne irgendetwas daran persönlich zu nehmen.

Meine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten hatte ich als Rehabilitationsmaßnahme von der Rentenversicherung finanziert bekommen, die natürlich ein Interesse daran hatte, mich bei der Arbeitssuche zu unterstützen. Deshalb war es für einen potentiellen Arbeitgeber möglich eine Förderung zu erhalten, wenn er mich einstellen würde. Wie bei vielen Verträgen, gab es allerdings auch hier ein Haar in der Suppe. Im ersten Jahr würde mein Arbeitgeber Fünfzig Prozent meines Gehaltes von der Rentenversicherung als Förderung erhalten, unter der Bedingung, mich ein weiteres Jahr einzustellen, in welchem er meinen vollen Lohn zahlen musste. Sollte nach einem Jahr eine Weiterbeschäftigung nicht erfolgen, würde der Arbeitgeber die erhaltene Förderung zurückzahlen müssen. Eine Kündigung seitens des Arbeitgebers wäre von der Rentenversicherung auch nur akzeptiert worden, wenn diese aus betriebswirtschaftlichen Gründen erfolgt wäre, ein Umstand, der jedoch für ein Unternehmen schwer nachzuweisen ist und den nachzuweisen ein Unternehmer auch kein Interesse hat.

Letztendlich war es so, dass mein Chef mich nur für ein Jahr einstellen, die Förderung jedoch trotzdem kassieren und diese auch nicht zurückzahlen wollte. Um sämtliche Risiken auszuschließen hatte er sich die Sache mit der Kündigung einfallen lassen. Ich sollte einen unbefristeten Arbeitsvertrag bekommen, jedoch mit Vertragsunterzeichnung gleichzeitig meine Kündigung unterschreiben. Als ich unter die beiden Schriftstücke meine Unterschrift setzte, kam ich mir ein bisschen, wie Doktor Faust vor, als der seinen Pakt mit dem Teufel schloss, denn ich wusste nur zu gut über die Folgen bescheid. Nach einem Jahr würde ich Arbeitslosengeld und Hartz IV beantragen müssen und, da ich das Arbeitsverhältnis selbst gekündigt hatte - aus welchen Gründen auch immer - eine dreimonatige Sperre bekommen und in diesen drei Monaten kein Geld erhalten. Trotzdem war ich voller Hoffnung und guter Dinge - in einem Jahr kann viel geschehen - weshalb ich der Meinung bin, dass man im Leben manchmal ein Wagnis eingehen sollte.

Es war ein halbes Jahr vergangen, als ich eines Tages bei und mit meinem Freund eine Sendung über Ägypten im Fernsehen anschaute. Danach sagte mir Jörg - er kannte die Geschichte mit dem Arbeitsvertrag -, dass er neugierig sei, ob es wohl möglich wäre den Zeitpunkt belegen zu können, an dem meine Unterschrift unter der Kündigung erfolgte, wenn die Wissenschaft mit Hilfe der Radiokarbonmethode im Stande ist, ziemlich genau nachzuweisen, wie viele tausend Jahre alt eine Erdschicht, eine Tonscherbe, ein Mauerrest oder eine Mumie ist. Ich gab zwar zu bedenken, dass ich mich verpflichtet hatte über die Angelegenheit zu schweigen, aber da sah er mich nur mitleidig an. Seit diesem Abend überlegte ich mir zum ersten Mal, dass in der Liebe und im Krieg alle Mittel erlaubt sind - und der deutsche Arbeitsmarkt ist ein Kriegsgebiet, in dem jede Stelle heiß umkämpft wird. Humor ist schließlich, wenn man trotzdem lacht und ich stellte mir vor, wie mein Chef wohl aus der Wäsche gucken würde, wenn er feststellte, dass ich ihn so austrickste, zumal er mir so etwas bestimmt nicht zutraute.

Von diesem Moment an begann mir die Sache richtig Spaß zu machen. Zunächst versuchte ich bei der Wurzener Kriminalpolizei zu den Informationen zu kommen, die ich benötigte, aber der freundliche Polizist, konnte mir nicht weiter helfen, obwohl er sich sogar die Zeit nahm mich zurückzurufen, nachdem er versucht hatte von einem Kollegen in Grimma Näheres zu erfahren.

Danach überlegte ich mir, dass wir in unserer Kanzlei über die Gerichte entsprechende Fachleute vermittelt bekommen, die für unsere Mandanten Gutachten erstellen. Es war amüsant, denn je mehr ich telefonierte und je mehr Leute sich mit dem Problem beschäftigten, umso mehr Leute nahmen Anteil, gaben mir hier einen Rat und dort eine Information, und auch wenn sie mir nicht weiterhelfen konnten, so hatten sie meist doch einen Gedanken, wo es sich noch nachzuforschen lohnte. So erging es mir auch beim Leipziger Amtsgericht: die Dame hörte sich an, um was es ging und empfahl mir danach bei der Industrie- und Handelskammer anzurufen. Von dem Mitarbeiter dort bekam ich die Telefonnummer eines Schriftsachverständigen. Jedoch konnte auch dieser nichts für mich tun; er gab mir aber immerhin die Telefonnummer eines anderen Fachmannes, bei dem ich endlich an der richtigen Adresse war. Das Gespräch mit diesem war unglaublich interessant, er nahm sich viel Zeit um mir zu erklären, dass ein Nachweis, über den Zeitpunkt, wann etwas geschrieben wurde nur sehr schwierig zu führen und dass, wenn überhaupt, allerhöchstens nachweisbar ist, dass die Unterschrift älter als drei Monate sei. Außerdem erfuhr ich, dass bundesweit nur zwei Kriminalämter über ein entsprechendes Gerät verfügen, mit dem es möglich ist derartige Untersuchungen durchzuführen. Als mir der Sachverständige noch dazu erklärte, wie teuer eine solche Untersuchung ist, war mir klar, dass kein Amt ein Interesse daran haben würde, die Angelegenheit aufzuklären - Dreitausend Euro würde auch ich nicht ausgeben können, egal wie neugierig ich auf das Ergebnis war. Auch, wenn danach einige meiner Hoffnungen zu Bruch gegangen waren, ließ ich den Kopf nicht hängen immerhin hatte ich eine Menge aufschlussreiche Dinge erfahren und mit vielen interessanten Menschen gesprochen. Ich hatte gelernt, dass ich hartnäckig und beharrlich am Ball bleiben musste, wenn ich ein Ziel erreichen wollte.

Es kam also, wie es kommen musste, so lang mir das Jahr erschienen war, als es begann, es näherte sich schneller seinem Ende, als ich es wahrhaben wollte. Spätestens drei Monate vor Ablauf des Arbeitsvertrages ging ich schweren Herzens zum Betrieb für Grundsicherung und sprach mit der Arbeitsberaterin, die für mich zuständig war. Dieser erzählte ich die ganze Geschichte, denn dies nicht zu tun, hätte ich mir gegenüber als äußerst ungerecht empfunden. Es war für mich eine Sache, ein unkonventionelles Mittel zu ergreifen um Arbeit zu bekommen, jedoch eine völlig andere, dafür auch noch allein die Prügel einstecken zu müssen. Nicht einmal im Traum hatte ich zu hoffen gewagt, dass mir jemand diese Geschichte abnehmen würde und war daher überwältigt, als Frau Schröder sagte: „Ich glaube ihnen, aber tun kann ich natürlich nichts für sie.“ Frau Schröder gab mir anschließend den Rat, die Angelegenheit nicht dem Selbstlauf zu überlassen, sondern mit der Mitarbeiterin beim Arbeitsamt genauso zu sprechen, wie ich das gerade mit ihr getan hatte. Ich erspare es mir lieber, zu schildern wie ich auf dem Arbeitsamt abgefertigt wurde, denn es war ein krasser Gegensatz zu dem vorher Erlebten. Die Mitarbeiterin dort hatte sich noch nicht einmal die Zeit genommen meine Stellungnahme durchzulesen, in welcher ich die Gründe für mein Handeln auf etwa vier Seiten dargelegt hatte, sondern mich abgefertigt wie ein kleines dummes Kind, das lügt um seiner Strafe zu entgehen. Nach zehn Minuten stand ich völlig aufgelöst wieder vor der Tür. Das ich eine „Dummheit“ begangen hatte und hierfür die Konsequenzen tragen musste war mir vorher klar gewesen und darum, diese abzuwenden ist es mir auch keinen Moment gegangen. Etwas anderes konnte ich schließlich auch nicht erwarten, denn ohne Beweise erreicht man auf einem Amt nun einmal nichts. Zwischen zwei Extremen, gibt es jedoch immer eine Mitte und das Verständnis, welches mir Frau Schröder entgegen brachte, hat mir unglaublich gut getan. Sicherlich änderte es nichts an den Folgen, aber es war ein Seelenpflaster, das mir dabei geholfen hat, mein Selbstvertrauen zu bewahren und die nächsten Schritte mit erhobenem Kopf in Angriff nehmen zu können.

Spätestens auf dem Arbeitsamt hatte ich verstanden, dass Frau Schröder als Mitarbeiterin eines Amtes nicht nur am längeren Hebel saß, sie wäre auch nicht verpflichtet gewesen irgendetwas für mich zu tun und erst in jüngster Zeit habe ich etwas erfahren, was diese Sache nochmals in einem vollkommen neuen Licht erscheinen lässt. Nach dem Gesetz hat sich die Mitarbeiterin auf einem Amt um Einhundertfünfzig Arbeitslose zu kümmern. In der Praxis sieht das jedoch ganz anders aus. Selbst im günstigsten Falle ist es die doppelte Anzahl und im Extremfall das Zehnfache, was diese an Fällen zu bearbeiten hat. Wenn Sie sich ausrechnen, wie viel Zeit für die Bearbeitung eines Falles bleibt, wenn sie ihrer Arbeit ordentlich nachgehen und nicht pausenlos Überstunden machen will, glich es schon einem kleinen Wunder, dass Frau Schröder sich überhaupt die Zeit genommen hat meine Schilderungen anzuhören.

Unmögliches ist jedenfalls in unserer unromantischen, nur vom Geld beherrschten Zeit auch heute noch möglich, dies erkannte ich, als ich meinen Hartz-IV-Bescheid in den Händen hielt, denn es war auf den ersten Blick zu erkennen, dass ich keine Sperre bekommen hatte. Warum Frau Schröder sich für mich eingesetzt hat, wen sie mit welchen Mitteln davon überzeugen konnte, dass meine Geschichte der Wahrheit entsprach, habe ich nie versucht in Erfahrung zu bringen. Man darf nicht alles wissen wollen, aber, dass ich Frau Schröder für ihr Vertrauen dankbar bin, muss ich bestimmt nicht extra betonen.

Weil jedoch in letzter Zeit die Berichte in den Medien über Hartz-IV-Empfänger in eine regelrechte Hexenjagd ausarten, möchte ich am Ende doch noch eine Frage loswerden: Hat eigentlich, wenigstens ein einziges Mal, irgendwer in Presse, Rundfunk oder Fernsehen etwas über Sozialschmarotzer in Nadelstreifenanzügen berichtet?

 

Nachtrag:

Inzwischen habe ich erfahren, dass Frau Schröder tatsächlich die Hände gebunden waren und diese nichts für mich hätte tun können. Wenn vom Arbeitsamt eine Sperre ausgesprochen worden wäre, hätte niemand etwas daran ändern können.

Ich hatte nur deshalb Glück, weil ich Frau Schröders Rat, die Umstände schriftlich für das Arbeitsamt zu schildern, befolgt hatte. Zwar war die Beraterin auf dem Arbeitsamt sehr unhöflich, jedoch hatte ich meinen Bericht bei ihr gelassen und irgendjemand scheint ihn sich durchgelesen und die entsprechenden Konsequenzen daraus gezogen zu haben, so dass ich letztendlich keine Sperre bekam.