Das Geschenk

 

Inzwischen ist es Winter geworden und die Butterblume vor dem Eingang des Hasenbaus der Familie Hoppelpoppel ist schon lange verwelkt. Der eisige Wind fegt über die Felder, treibt den Schnee vor sich her, der in den letzten Tagen gefallen ist, um ihn zu riesigen Wehen aufzutürmen. Der Wind schüttelt die Kronen der Bäume durch, dass die Stämme fast durchbrechen und rüttelt an den Haustüren, des nahen Dorfes, aber niemand lässt ihn hinein, die Menschen schlafen und der Ruhelose muss weiterziehen. Es ist Nacht, die schmale Mondsichel leuchtet neben vielen und noch viel mehr Sternen. Es ist sehr, sehr kalt. Doch halt, hörst du es auch? Irgendetwas ist da, ein Geräusch, das nicht zum Heulen des Westwindes passt. Es ist das Schnarchen von Papa Hase, rrrr sch, rrrr sch, rrrr sch und davon ist das Hasenmädchen Pauline Hoppelpoppel aufgewacht. Hellwach steht es im Hasenbau und schaut zu, wie sich Papa Hases Bauch bei jedem Atemzug hebt und wieder senkt. Dicht zusammengekuschelt schlafen sie alle. Die Geschwister und Mama und Papa auch. Familie Hoppelpoppel macht zwar keinen Winterschlaf, aber da im Winter nichts wächst, die Dunkelheit viel länger über den Feldern liegt, als sonst im Jahr und man draußen nicht viel unternehmen kann, als hin und wieder einige Grasspitzen unter dem Schnee hervor zu scharren, muss man eben auch viel länger schlafen, als sonst. 

An den vergangenen langen Wintertagen hat das Hasenmädchen Pauline vor dem Bau gesessen und gelauscht, wie die Schneeflocken vom Himmel fielen. Ja, das stimmt schon, Du hast dich nicht verlesen, Hasen können mit ihren großen Ohren zuhören, wie die Flocken vom Himmel fallen und kichernd mit dem Winterwind Walzer tanzen. Der Wind ist ein fleißiger Tänzer, er wirbelt die Flocken ordentlich durcheinander, so dass manche von ihnen ganz atemlos auf der Erde ankommen. Hasen können auch die Geschichten hören, die der Wind den Bäumen, Blumen und Vögeln erzählt und viele andere Dinge, die wir Menschen uns gar nicht vorstellen können. Nun ja, aber vom Zuhören, wie die Flocken tanzen und der Wind Geschichten erzählt, wird man nicht müde. Mann kann keine Haken schlagen, keine Wettläufe und keine Boxkämpfe veranstalten. Pauline Hoppelpoppel kann nicht schlafen und findet die Dunkelheit einfach nur langweilig. Was also ist zu tun?

 

 

 

Pauline hoppelt vor den Bau. Aber da ist alles weiß und öde, so scheint es. Also wieder hineingehen? Nein, was soll sie da drin? Ihrem Papa weiter beim Schnarchen zusehen? Sie hoppelt vorsichtig erst ein Stückchen, dann noch ein Stückchen weiter, auf einen Hügel. Verzaubert liegt die Welt vor dem Hasenmädchen. Die Sträucher am Feldrain sind dunkle Schatten, der Schnee glänzt im blassen Mondlicht. Aber dort hinten schimmern Lichter. Dorthin hoppelt Pauline jetzt. Die Lichter gehören zu Laternen und die Laternen stehen an der Straße eines Dörfchens. Pauline weiß, dass sie nicht hier sein dürfte. Zu viele Gefahren lauern in der Nähe der Menschen. Die Schäferhündin Luci vom Bauer Grundmann zum Beispiel. In Gedanken hoppelt Pauline von Lichtkreis zu Lichtkreis. Dann schlüpft sie durch einen Zaun. Zuerst findet sie sich in der Dunkelheit nicht zurecht. Pauline hoppelt zaghaft weiter, stößt gegen etwas Kaltes, Hartes. Hilfe, was ist das? Drohend richtet sich eine große Gestalt vor ihr auf. Etwas Riesiges fliegt auf sie zu. Pauline gibt Fersengeld und hört, bis sie nach Hause kommt nicht auf zu Rennen. Ganz außer Atem ist sie. Aufgeregt pocht ihr kleines Herz und lange kann sie nicht wieder einschlafen. 

Am nächsten Morgen erzählt Pauline ihren Geschwistern vom Abenteuer in der Nacht. Aber die Brüder und Schwestern glauben ihr nicht. Weil Pauline immer wieder beteuert, dass sie die Wahrheit sagt, werden die anderen irgendwann doch neugierig. Zusammen wollen sie nachsehen, was Pauline erschreckt hat. Vergessen ist das Verbot der Eltern, in das Dorf zu den Menschen zu gehen. 

„Du Mutti, sieh mal, was mit meinem Schneemann passiert ist.“ Ella deutet mit ihrer Hand nach draußen. Das Mädchen ist enttäuscht. Ihr Schneemann ist kein Schneemann mehr, sondern nur noch ein großer Schneehaufen. Sie hatte gestern so viel Spaß beim Bau Ihres Schneemanns. Mutti hatte sie nach draußen in den Garten geschickt, weil sie in Ruhe Essen kochen wollte. Erst hatte Ella eine große Kugel gerollt und danach noch eine mittlere, dann aber musste Papa ihr zu Hilfe kommen, als sie bemerkte, dass sie den Schneemannbauch nicht anheben konnte. Zusammen hatten sie und Papa auch noch die dritte Kugel für den Kopf gerollt, dem Schneemann eine Möhrennase ins Gesicht und einen Eimerhut auf den Kopf gedrückt. Nun liegt die Möhrennase im Schnee und alles sieht so traurig aus. Mutti nimmt ihre Tochter in den Arm, um sie zu trösten. Gerade als sie Ella den Vorschlag machen will, heute Nachmittag mit ihr zusammen einen neuen Schneemann zu bauen, sieht sie eine Bewegung im Garten. Fasziniert blicken die beiden Mädels, das große und das kleine, auf die verschneite Wiese. Fünf Hasenkinder knabbern an der Möhre, die im Schnee neben dem Schneemannberg liegt. Ella und ihre Mutti sind ganz still und freuen sich. 

Am nächsten Tag liegen fünf Möhren im Schnee.