DER KUCKUCK UND DER ESEL

 

Diese Geschichte trug sich zu in jenen alten Zeiten, in denen das Wünschen noch geholfen hat. Ihr wisst schon, man schlitterte in irgendeinen Schlamassel und schon kam eine gute Fee des Weges und erfüllte dem Unglücklichen seine drei innigsten Wünsche. Der war dann natürlich happy und alle Schwierigkeiten waren vergessen. Aber so einfach ist es bekanntlich nicht immer. Es macht unsere Geschichte auch viel interessanter, als alle anderen wundersamen Begebenheiten, dass sich Luise, die Eselin und Franz, der Kuckuck ohne einen wundertätigen Dritten einigten.

Luise war eine wunderhübsche Eselin, mit einem weichen grauen Fell, langen wuscheligen Ohren, weißenen Ringen um ihre glänzenden seelenvollen Augen und einem weißen Maul, aus dem sehr oft ein frohgemutes „I-A“ tönte. Sie lebte bei einem Müller, bei dem sie den lieben langen Tag schwere, mit Getreide oder Mehl gefüllte Säcke schleppen musste. In den Zeiten, in denen diese Geschichte spielt, gab es nämlich noch keine Maschinen, die den Menschen alle schwere Arbeit abnahmen und so wurden Ochsen oder Pferde vor einen Pflug gespannt, um die Felder zu pflügen oder vor einen Wagen, um Lasten zu transportieren. Und nicht immer wurden die Tiere gut behandelt. So war es auch bei Luise und ihrem Müller, der sie oft schlug. Wenn Luise arbeitete, dann arbeitete sie willig und ausdauernd, aber wenn sie der Meinung war eine Pause zu brauchen, dann halfen weder gute Worte noch alle Prügel und Schimpfreden der Welt, um sie wieder in Gang zu bringen.

Die Schläge, die Luise bekam, taten weh, doch noch schlimmer empfand sie das Schimpfen des Müllers, denn wenn sie auch seine beleidigenden Worte nicht verstand, so merkte sie an seinem Tonfall schon, dass dieser sie gerade überhaupt nicht mochte. Da Luise aber einigermaßen gutes Futter bekam und jeden Abend in einen warmen Stall geführt wurde, in dem es nur ein kleines Bisschen zog, nahm sie alles, was ihr geschah mit der stoischen Ruhe der Esel hin und blieb.

 

Als Luise jedoch im nächsten Frühling merkte, dass in ihrem Bauch neues Leben heranwuchs, musste sie sich natürlich noch viel mehr ausruhen als sonst und das machte den Müller noch wütender, als er ohnehin schon war. Als dieser Luise wieder einmal geschlagen und beschimpft hatte lief sie einfach davon. Sie dachte sich, dass es ihr überall auf der Welt besser gehen würde, als bei dem Müller, dem sie jahrelang treu gedient hatte und der doch immer nur Schläge und böse Worte für sie übrig gehabt hatte.

Es war ein lachender, lauer Frühlingstag, die Sonne strahlte warm vom Himmel und an den Feldrainen blühten die buntesten Blumen. All dies nahm Luise freudig mit allen Sinnen auf, als sie über die Wiesen lief. Sie galoppierte drauf los, ins Blaue hinein, völlig unbesorgt ihres weiteren Schicksals wegen und als sie in einen großen kühlen Wald kam gefiel es ihr dort auch sehr gut. Vögel trällerten, Bienen summten, Ameisen krabbelten über den Weg und schleppten Tannennadeln zu ihrem Heim - überall war Leben. Voller Übermut schmetterte Luise ein schrilles glückliches „I-A“ in den blauen Frühlingshimmel.

Herrje, was machst du denn für einen fürchterlichen Krawall“ rief einer der Waldvögel aus einem Buchenwipfel zu ihr hinunter.

Ich bin verliebt in mein Leben, verliebt in den Frühling, die Sonne, die Blumen, denn heute ist mein glücklichster Tag.“ Luise lachte den Vogel an.

Dieser verdrehte genervt die Augen. „Sei verliebt in was du willst, aber schrei hier nicht so herum, das mögen wir überhaupt nicht. Im Wald wird gebrummt, gesummt und gesungen und ich bin Franz der Kuckuck und singe am besten von allen.“

Ist mein Gesang vielleicht nicht schön, wo doch so viel Lebensfreude darin steckt?“ fragte Luise verwundert, die die Prahlerei des Kuckucks nicht verstehen konnte. So gab ein Wort das andere und jedes der beiden Tiere wollte das andere überzeugen, dass sein Gesang der bessere wäre und Franz rief zornig „Kuckuck“ und Luise „I-A“ - immer lauter, bis sie keine Luft mehr bekamen und alle anderen Tiere verstummten und den Atem anhielten. Auch Luise und ihr Herausforderer hielten inne. Luise war die Erste, die wieder Worte fand. Sie zwinkerte Franz zu und meinte versöhnlich: „Mann klang das toll! Gib zu, dass das jetzt einfach ganz große Klasse war! Wollen wir es gleich noch einmal probieren?“

Franz, der so viel Nachgiebigkeit und Schwärmerei nicht gewohnt war, klappte erst einmal verwundert seinen Schnabel zu. „Du hast ja echt einen Knall.“, war das einzige, was ihm zur Erwiderung einfiel. Trotzdem hüpfte er auf den untersten Ast einer Fichte und stimmte vorsichtig sein Lied an. „Kuckuck, Kuckuck, I-A, I-A“ sangen nun die beiden Streithähne im Duett und es klang so schön, dass ein junger Mann, der gerade des Weges kam verwundert lauschend stehen blieb. Was er hörte gefiel ihm so sehr, dass er die Begebenheit in Verse fasste und, weil es sehr hübsche Verse waren komponierte später ein anderer Mann eine Melodie dazu. So entstand ein lustiges Lied mit einer eingängigen Melodie, welches wir noch aus unseren Kindertagen lieben. Hast Du Lust mitzusingen?

 

Der Kuckuck und der Esel

Die hatten großen Streit

Wer wohl am besten sänge

Zur schönen Maienzeit.

 

Der Kuckuck rief „das kann ich“

Und hub gleich an zu schrein.

Ich kann es aber besser“

Fiel gleich der Esel ein.

 

Das klang so schön und lieblich

So schön von fern und nah

Sie sangen alle beide

Kuckuck, Kuckuck, i-a.

 

Weil aber Märchen immer ein gutes Ende nehmen, so sei noch gesagt, dass der junge Mann, der später ein berühmter Dichter wurde, Luise mit nach Hause nahm. Dort ging es ihr gut, sie musste nicht zu dem Müller zurück und nie mehr schwer arbeiten. Sie zog ihr Kind auf einer großen Wiese auf, wo es frisches grünes Gras und viele schmackhafte Kräuter zu fressen gab. Franz, der Kuckuck vergaß Luise nicht. Hin und wieder kam er zu ihr geflogen und dann musizierten sie gemeinsam und jeder, der die Beiden hörte, hatte seine Freude daran.