Wer ist Papa Jo? ©

 
von Ute Hager
 
Jeden Donnerstag und jeden Freitag auf meinem Weg zur Berufsschule lief ich an ihm vorbei und sah ihn an. Er war alt, wacklig und heruntergekommen. Ein schöner Anblick war er nicht, wie er  einsam und vergessen im hohen Grase stand. Die meisten Menschen beachteten ihn kaum.
 
Denn er passte eigentlich überhaupt nicht hierher in dieses saubere Stadtviertel mit den vielen neu erbauten Häusern. Am Anfang hatte er auch auf mich eher störend gewirkt. Irgendwie unpassend und verloren. So wie ich. Ein Fremdkörper in einer Welt der Perfektion. Aber an den vielen Tagen, an denen ich an ihm vorbei lief, gewöhnte ich mich an ihn.
 
Nun ist er plötzlich nicht mehr da. Sein Platz ist leer. Der alte Bauwagen ist verschwunden. Quer auf seiner mit Brettern vernagelten Tür hatte in krakeliger Schrift der Satz gestanden: „verkauft an Papa Jo“.
 
Mir ist so wehmütig ums Herz, als hätte ich einen lieben Freund verloren, der nun schlagartig nicht mehr bei mir ist. Ich habe mich oft gefragt, wer Papa Jo ist. Papa, nicht Vater oder Vati. Papa. Daraus klingt so viel Zuneigung. Papa hat einen vertrauten Klang nach Stärke, Geborgenheit und Liebe. Klingt nach einer Zigarre, im Dunkeln geraucht, deren Spitze bei jedem Zug rot aufglüht, nach kräftigem Handschlag und brummigem Abschied.
 
Wer also ist Papa Jo? Ein Penner? Einer jener Menschen an denen man täglich gleichgültig vorbei läuft, deren selbstverständliche Führsorge und Treue man immer erst vermisst, wenn sie nicht mehr bei uns sind? Ich werde es nun nicht mehr erfahren. Ich habe Papa Jo nie gesehen und vielleicht haben nur spielende Kinder die Aufschrift auf die Tür des alten Bauwagens geschmiert.
 
Dennoch fehlt er mir, ist mir ans Herz gewachsen. Hinterlässt eine Leere und Traurigkeit, die gar nicht zu diesem freundlichen, hellen Sommertag passen will. So aber ist das Leben. Es schreibt seine eigenen Geschichten. Frohe und traurige und oft frage ich mich noch an diesem Tag: „Wer ist Papa Jo?“