Nachruf

oder

Ein letzter Versuch Danke zu sagen

 

Wenn ich etwas hasse, dann sind es Nachrufe. Grabreden sind - zumindest sehe ich das so - das Allerletzte, denn wenn ein Mensch erst sterben muss, um der Nachwelt verkünden zu können, was für ein Prachtkerl er war, dann ist das so toll, wie eine nasse Windel am Arsch.

Als ich erfahre, dass Gilbert sich erschossen hat, ist mein erstes Gefühl nicht Unglaube, schließlich hat jeder der ihn kannte gewusst, dass er eine Waffe besaß. Und dass er vorhatte, sich damit das Leben zu nehmen, wenn er noch einmal an Krebs erkranken würde, war auch kein streng gehütetes Geheimnis. Wenn ich das hätte verhindern wollen, dann wäre das Einfachste eine Anzeige bei der Polizei gewesen. Das habe ich nicht getan, also wäre Überraschung wohl oder übel Selbstbetrug. Nein, ich bin nicht geschockt und mein allererstes Gefühl ist nicht Trauer, sondern Schadenfreude. Peng! Mitten hinein in die Diskussion über Sterbehilfe, bei der es mir vorkommt, als würden Blinde über die Farbe reden, schafft einer vollendete Tatsachen. Denn es diskutieren die, die es nichts angeht: die Jungen, die Gesunden, die Schmerzfreien, die Mächtigen und Medikamentenhersteller. Die Menschen, für die dieses Thema interessant ist, werden außen vor gelassen. Ich frage mich immer, was das eigentlich soll, dieses „Gott hat dem Menschen das Leben gegeben und ER allein ist berechtigt, es ihm auch wieder zu nehmen. So ein Unsinn! Schließlich hat Gott auch Hunden, Katzen und anderen Haustieren das Leben geschenkt und der Mensch schlachtet und isst sie, oder geht mit ihnen zum Tierarzt und lässt sie einschläfern, wenn er die Leiden seiner Lieblinge nicht mehr mit ansehen kann. Peng! Da hat einer menschenwürdig sterben wollen und damit all diesen Heuchlern ins Gesicht geschossen - sozusagen.

Zum ersten Mal habe ich bei einem Abschied nicht den Eindruck, dass der Grabredner - in diesem Falle eine junge Frau - über einen völlig fremden Menschen spricht. Was sie von Gilbert erzählt, trifft seine Persönlichkeit so genau, das mich das Gefühl des Verlustes völlig unvorbereitet trifft. Wie durch einen Nebel kommt der Gedanke, dass mit ihm Erlebtes ein für allemal unwiederbringlich vorbei ist. Nicht, dass alle Erlebnisse nicht auch vorher schon Vergangenheit waren, aber der einzige Mensch mit dem ich das Spiel, „Weißt du noch?“ hätte spielen wollen und der zu sehr in der Gegenwart gelebt hat, um es mitzuspielen, ist heim gegangen.

Es wird Zeit Abschied zu nehmen. Ein guter Freund ist gestorben, der immer schonungslos ehrlich war und Heuchelei und Selbstbetrug wie die Pest hasste. Seine brutale Wahrheitsliebe hat manchmal sehr weh getan, hat mich aber immer in die Wirklichkeit geholt, beispielsweise, als er mich gefragt hat, ob ich das, was ich gerade erzähle, nur nachquatsche, oder ob ich die Erfahrung selbst gemacht habe. Viele Erfahrungen später kann ich nur sagen, dass er recht hatte und dass es gut war, dass er war wie er war und, dass ich dankbar bin, dass er gelebt hat, denn ohne ihn, würde ich nicht das Leben führen, das ich lebe, mit all seinen Facetten, Freuden und Tränen. „Du solltest in deinem Leben etwas ändern, wenn das einzig Interessante, was du zu erzählen weißt, zehn Jahre her ist!“ schnauzte er mich an, als ich von meinen Radtouren schwärmte. Seitdem bin ich sinnbildlich nie mehr auf einer Ebene gelaufen, sondern habe viele Täler durchqueren müssen, aber auch viele Gipfel erklommen.

Gilbert einen Prachtkerl zu nennen wäre übertrieben, ihn einfach nur als netten Menschen abzutun aber auch nicht richtig. Nett ist wie lauwarmer Kaffee und dabei fällt mir ein, dass ich mir kein Urteil bilden muss. Ich weiß genug Geschichten von und über diesen Mann, die ein sehr genaues Bild von ihm ergeben.

Ich habe Gilbert im Volkshaus, der Wurzener Fußballerkneipe kennen gelernt. Er versorgte als Kellner Fußballer und ihre Fans, Kleingärnter und gescheiterte Existenzen mit Bier und Schnaps. Ich dagegen briet Schnitzel und Bratkartoffeln, kochte Brühe mit Ei und andere Leckereien. Für den Fall, dass die Gaststube voll war und Gilbert mit dem Verteilen von Bier, Schnaps und Essen nicht nachkam, hatten wir die Tische durchnummeriert, damit ich das bestellte Essen zu den Gästen bringen konnte. Nur er hatte es drauf, mir im größten Trubel nach einem Fußballspiel einen Kassenbon auf den Tisch zu legen, auf dem das bestellte Essen und statt der Tischnummer „Muldenschaf“ stand. Als ich Gilbert aufgebracht fragte, ob ich nun an jedem Tisch nach dem betreffenden Herrn fragen sollte, witzelte er, dass ich den Gast schon erkennen würde, es gäbe nur einen, auf den der Name passte.

Später stand ich mit einem Teller, auf dem ein lecker duftendes Bauernfrühstück lag, neben dem Tresen und spähte in die Massen, die den Gastraum bevölkerten. Die Fußballer waren nach dem Spiel eingerückt, lautstark nach Bier und Schnaps rufend. Fans standen diskutierend zusammen, die Kneipe mit fröhlichem Lärm und die Luft mit dem dicken Qualm ihrer Zigaretten füllend. Wie, um Himmels willen sollte ich in diesem Gewimmel einen Herrn entdecken, der einem Schaf ähnelte? Doch es war, wie Gilbert prophezeit hatte: zwar wuselten gefühlt dreihundert Mann in der Gaststube, jedoch sah ich schnell, wem ich das Essen bringen musste.

Gilbert liebte Alkohol und hat sich während unserer gemeinsamen Zeit im Volkshaus mindestens einmal zu einer Entziehung nach Wermsdorf auf die Suchtstation einliefern lassen. Das wäre an sich ja nichts, was in einem Nachruf unbedingt Erwähnung finden müsste. Doch als wir nach seiner Beerdigung alle beisammen sitzen fragt sein ältester Sohn, ob Carola etwas Handfestes zu trinken besorgt habe. Und als sie die Augen verdreht, verneinend den Kopf schüttelt und anschließend doch widerstrebend zum Schrank geht, um eine angerissene Flasche Weinbrand hervorzuholen, kommentiert jemand dies mit dem sarkastisch-überraschten Ausruf: „Ach, hat er die übrig gelassen?“

Vielleicht hat der Mann mit dem großen Durst und dem vielschichtigen Charakter nicht mehr als diesen dummen Spruch verdient. Das Gespräch läuft weiter. Es geht um Alltagsthemen: Hartz IV, Kinder, Politik und mir kommt es vor, als schlössen sie ihn aus.

Andererseits, soll Carola erzählen, dass Gilbert sich vor Aufregung so zugedröhnt hat, dass er ihr in der Hochzeitsnacht das Schlafzimmer vollgekotzt hat und anschließend eingepennt ist? Oder ich, dass ich nur einen Menschen kenne, der imstande war, mir von zwei Weibern zu erzählen, mit denen er im Bett lag und wie sehr er sich darüber ärgerte, dass er über einem Gespräch mit ihnen eingepennt war, statt sie zu ficken und hinterher zu quatschen?

Außerdem kann ich mir vorstellen, dass die Leute hier am Tisch selbst einschlägige Erfahrungen mit Alkohol und anderen Rauschmitteln haben und deshalb nicht überrascht wären, dass Gilbert in Holland Drogen probiert und, als er die genommen hatte, auf seinem Bett durch sein Zimmer geschwebt ist. Auch nicht darüber, dass er mir irgendwann erklärte, dass Man(n) sich erst mal einen runter holen müsse, bevor er zu einer Nutte geht, damit der Spaß nicht gleich vorbei ist. Was ich mit dieser Information anfangen sollte, war mir zwar schleierhaft, doch so war er eben: immer bereit seine Erfahrungen zu teilen und einen guten Rat parat, ordinär, direkt und alles kurz und bündig auf den Punkt bringend. Ein Typ mit Ecken und Kanten, immer gut für ein kontroverses Gespräch, mit dem man sich über alles unterhalten konnte, für den kein Thema peinlich oder uninteressant war.

Was mir ungeheuer imponierte, denn ich kenne nur einen Menschen, der soetwas drauf hatte: Zusammen mit seinem ältesten Sohn füllte er den Tank einer gebraucht gekauften Feuerwehr mit Bier - im übertragenen Sinne natürlich, ein paar Lebensmittel werden sie natürlich auch mitgenommen haben - und über Frankreich und Spanien fuhren die Beiden nach und durch Afrika. Sicherlich kann man geteilter Meinung darüber sein, denn er bekam Hartz IV und länger als drei Wochen bekommt man da keinen Urlaub, aber er war bestimmt mindestens drei Monate unterwegs, denn ansonsten lohnt sich eine solche Fahrt ja nicht. Wie ich ihn um diese Unverschämtheit beneidet habe kann ich gar nicht sagen und was er zu berichten hatte, als er zurück war, machte mir große Lust mal über die Stränge zu schlagen, einfach mal abzuhauen und loszuziehen. 

Für mich war Gilbert alles: Vorbild, Gesprächspartner, blödes A..... -  o.k. sollte ich hier vielleicht nicht schreiben - und der Typ, der mir in einer „Nacht ohne Grenzen“ bewies, dass unser Universum grandios ist und auf jede Frage eine überraschende Antwort bereit hält.

 

Danke Gilbert, dass Du mein Leben bereichert hast!

 

Dies ist mein Dankeschön für Dich:

 

Ich hör dir zu

 

Ich hör dir zu

Denn Wahrheit spricht dein Mund.

Das kannst nur du,

Du redest und meine Welt wird wieder bunt.

 

Der Mut von Dir, das Neue zu beginnen

Zu lange habe ich in meinem Frust verharrt.

Die Kraft aus mir, die Zukunft zu gewinnen

Zu lange habe ich das Gestern angestarrt.

 

Ich hör dir zu

Denn längst schon hast du mich durchschaut.

Das siehst nur du,

Dass ich mein Leben jetzt auf Selbstbetrug gebaut.

 

Der Mut von dir, das Neue zu beginnen

Zu lange hab’ ich in Bequemlichkeit verharrt.

Die Kraft aus mir, die Zukunft zu gewinnen

Zu lange habe ich das Gestern angestarrt.

 

Ich hör dir zu

Denn Eines steht schon lange felsenfest

Das weißt nur du,

Dass sich das Leben nicht betrügen lässt.

 

Der Mut von dir, das Neue zu beginnen

Zu lange habe ich im Selbstmitleid verharrt.

Die Kraft aus mir, die Zukunft zu gewinnen

Zu lange habe ich das Gestern angestarrt.

 

Ich höre dich

Dein Wort ist wie aus ferner Zukunft Gruß.

Denn das kann nur ich

Zu ändern was geändert werden muss.

 

Der Mut von dir, das Neue zu beginnen

Zu lange habe ich in Tatenlosigkeit verharrt.

Die Kraft aus mir, die Zukunft zu gewinnen

Zu lange habe ich das Gestern angestarrt..

 

Ich denk an dich

Denn du machtest mir Mut den ersten Schritt zu wagen.

Ich habe mich dem Morgen anvertraut

Es geht mir wieder gut und will nun danke sagen

 

Der Mut von dir, das Neue zu beginnen

Zu lange habe ich in Pflichtgefühl verharrt.

Die Kraft aus mir, die Zukunft zu gewinnen

Zu lange habe ich das Gestern angestarrt.